29. Dezember 2006

Die Katzen von Tallinn


Ich bin fest entschlossen, meinen neuen Roman "Die Katzen von Tallinn" zu nennen. Nicht eine einzige Katze habe ich gesehen bei meinem letzten Besuch in der estnischen Hauptstadt, die noch 1993 weltweit die Hauptstadt mit den meisten Morden im Verhältnis zur Bevölkerung war. Heute ist sie das nicht mehr.
Aber immer noch ist Tallinn Hauptstadt eines Landes in Transition, kann man das sagen auf Deutsch, Bastian Sick? Nein, sicher nicht. Dennoch finde ich Transition hat was. Übergang dagegen ist so ordinär. Der Bahnübergang am Bahnhof Mülfort in Mönchengladbach. Der Übergang zur sozialen Marktwirtschaft in der ehemaligen DDR.
Aber die Transition Estlands. Mir gefällt das. Aber Transition woher und wohin eigentlich? Spielt das eine Rolle?
Von Ost zu West? Nicht alle Orte und Länder und Menschen können zu Wessis werden. Wir haben das schon vergebens mit diesen störrischen Ossis versucht. Von den Ösis gar nicht zu reden. Von arm zu reich? War Estland mal arm? War es nicht immer eine der reichsten der 15 Sowjetrepubliken? Wer russische und kasachische Dörfer gesehen hat und fünf Stunden nach Abfahrt des Zuges von Omsk nach Taschkent aufs Klo ging, weil er seine Notdurft verrichten wollte, aber beim Zustand des Ortes von heftigem Brechreiz gepackt wurde, weiß, dass es stimmen muss. Aber auch die DDR war vergleichsweise reich, trotzdem ein Staat von einigen Millionen Miesepetern, die im ZDF zwar noch nicht Kerner sehen mussten, aber doch feststellten, dass die Angehörigen der Mordopfer in Derrick besser eingerichtet waren als Onkel Rollo und Tante Gisela in Eisenhüttenstadt. Solange es anderen besser geht, bleibt der Welt der Neid erhalten.
Zurück zu den "Katzen von Tallinn". Sind das Raubkatzen, fragt mich der neugierige Typ mit der blauen Schirmmütze und den müden Augen, der neben mir im Internet-Café sitzt und immer wieder auf meinen Bildschirm stiert. Frauen? Ahmed hat schon wieder die Einstellungen im Explorer geändert, auf Arabisch, was dazu führt, dass ich Umlaute nur als Hieroglyphen sehe.

Die Fähre von Stockholm nach Tallinn legt jeden Abend um 18.00 Uhr vom Freihafen ab. Entweder handelt es sich um die M/S Victoria, benannt nach wem wohl oder die M/S Romantika, benannt nach was wohl. Beide Schiffe gehören zum modernsten, was die Ostsee zur Zeit zu bieten hat. Eigentümer der beiden jeweils über 190 Meter langen Fähren ist die Reederei Tallink, die sich in diesem Jahr 2006 zum größten Player (sorry, Bastian!) der Ostsee gekauft hat. Nun gehört auch die zwischen Finnland, Schweden und Estland operierende Silja-Line zum Konzern der Esten.

Aber Tallink, das in Tallinn gerade einen neuen Glaspalast als Luxushotel (****) in Betrieb genommen hat, gehört sich auch nicht selbst. 41,86% des Unternehmens werden von der Investmentgesellschaft AS Infortar gehalten, 58,14% von anderen Eignern. Die Firma AS Infortar wird von Ain Hanschmidt kontrolliert, dem ehemaligen Chef der Eesti Uhispank. Im Januar 2006 hatte Hanschmidt seine Pläne bekannt gemacht, aus der estnischen Hauptstadt mit seinem Projekt "Tallink City" Nordeuropas Unterhaltungszentrum Nr. 1 zu machen. 280 Millionen € will Infortar investieren, um bis 2010 in Tallinn ein gigantisches Sport- und Freizeitzentrum mit Skihügel, Skitunnel, Kinos, Einkaufszentrum usw. entstehen zu lassen. (Siehe hierzu auch auf Englisch: http://www.balticbusinessnews.com/newsletter/060120_bbn_newsletter.pdf).

Herr Hanschmidt (43) ist Estlands reichster Mann (siehe dazu auch den Artikel in der Baltic Times). Wie es dazu gekommen ist, scheint etwas rätselhaft, wenn man Internetquellen glauben darf. Denn die Bank, der Hanschmidt in den 90er Jahren vorstand, gab damals der krisengeschüttelten Tallink einen lebensnotwendigen Kredit. Böse Zungen behaupten, dass Hanschmidt sich durch diese Aktion begünstigt hat. Sein Anwalt Aare-Heino Raig erwarb über verschiedene Stellvertreter Aktien am Tallink-Unternehmen und zahlte läppische 10.645 €. Der Wert des Pakets wurde aber auf 45 Millionen € geschätzt. Zwei Tage nach dem Deal übernahm Hanschmidt dann die Geschäftsführung der Investmentgesellschaft Infortar, der zu diesem Zeitpunkt 55% an Tallink gehörten. Follow the money. ´

Wir sind gespannt darauf, zu sehen, ob Hanschmidts Versprechen, dass "Tallink City" für Tallinn so etwas sein wird wie der Eiffel-Turm für Paris, eingelöst wird.

24. Dezember 2006

Die Welt am Heiligabend

Es ist eine stille Welt am Heiligabend 2006. Die Stockholmer Straßen leerten sich merklich, nachdem die Geschäfte ihre letzten Geschenke gegen 14 Uhr verkauft hatten und auf einmal waren nur noch wenige unterwegs. Die meisten hatten sich sicher schon vor den Fernsehern versammelt, der Anteil der FlatScreens stetig zunehmend. Der Schwede schaut zu Weihnachten und zwar jedes Jahr zu Weihnachten immer denselben Walt-Disney-Weihnachtsfilm. Donald Duck heißt hier Kalle Anka. Und alle, ALLE gucken Kalle Anka. Und zwar nicht auf Video oder DVD, nicht die Konserve, live muss man das sehen.
Der Zugverkehr nach Norden, nach Göteborg und nach Kopenhagen ist allmählich eingeschlafen, nur noch vereinzelt fahren S- und U-Bahnen. Es weihnachtet, ohne Schnee in diesem Jahr in der Hauptstadt, aber der Kalender gibt es vor. Wir sind harmonisch. Vor zwei Jahren urlaubten tausende Schweden an den paradiesischen Stränden von Thailand, als am zweiten Weihnachtstag ein gigantisches Seebeben eine noch nie so gesehene Flutwelle verursachte und viele Menschen sich ein neues Wort in ihren Wortschatz einverleiben mussten: Tsunami.
Weihnachten 2006 ist bislang ruhig.
In Neapel nahm die italienische Polizei den 36-Jährigen Mario Scaramella fest. Im Zusammenhang mit dem Mord an dem ehemaligen russischen Agenten Litvinenko ist der Name des Italieners des öfteren gefallen. Litvinenko, der mit dem seltenen, nahezu unbeschaffbaren und sündhaft teuren Polonium ermordet wurde, einem radioaktiven Stoff, der in geringster Form in den Blutkreislauf gebracht, bewirkt, dass sich das Gewebe auflöst und die Organe somit frei im Körper schweben, ein Sterben, das sicher nicht fälschlich als qualvoll beschrieben wird. Litvinenko starb Ende November in London, er war ein Kritiker einflussreicher Kreise in Russland, auch den Präsidenten Wladimir Putin ("einen lupenreinen Demokraten", Gerhard Schröder, Alt-Bundeskanzler) hatte Litvinenko kritisiert, stimmte nicht mit Gerhard Schröder in der Sichtweise überein. Ob man der Lösung des Falles näherkommt, wie weit ist die zuständige Mordkommission im Fall der ermordeten Journalistin Anna Politkovskaja ("eine unbedeutende Person", Wladimir Putin, Präsident) inzwischen gekommen? Keine Fragen, die an den Feiertagen einer Lösung näher kommen dürften.

Wann immer ich Zeit zur Zerstreuung habe, greife ich gerne mal zur Washington Post, seit Watergate meine Lieblingsgazette auf Amerika. Und schon bin ich mitten drin im Wahlkampf der nächsten Präsidentschaftswahlen. Wer wird der Nachfolger von dabbelju. George W Bush, jener Meat-And-Potatoes-Präsident, den der kasachische Journalist Borat vor begeisterten Rodeo-Besuchern im amerikanischen Süden früher in diesem Jahr noch als großen Warlord gefeiert hatte und dem er wünschte, er möge das Blut jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes im Irak trinken. Im Rückblick muss man sich doch etwas schämen, den Film gesehen zu haben, weshalb ich ihn hiermit sofort zum peinlichsten Kinobesuch des Jahres 2006 wähle.

Back in the USA. Das hatte ich mal in einer Version von Linda Ronstadt auf Vinyl. Original von Chuck Berry und richtig, die Kenner unter den Lesern warten jetzt darauf, die Replik anzubringen, dass es dann die Beatles waren, die darauf cool mit "and the Ukraine girls really knock me out, they leave the West behind" in Back In The USSR antworteten und Michel Friedman stimmte dem vor ein paar Jahren tatkräftig zu.

Nein, Senator Hillary RODHAM Clinton und Senator Barack-Osama, sorry Barack Obama, beide Demokraten, stehen jetzt im Fokus des Medieninteresses und beiden räumen politische Beobachter, ich liebe diese Bezeichnung politische Beobachter, politische Beobachter räumen den Beiden die Chance ein, massenhaft Geld für den Präsidentschaftswahlkampf locker machen zu können. Immer mehr Konkurrenz steigt vorzeitig aus dem Rennen aus, noch bevor die beiden Zugpferde überhaupt angekündigt haben, in die Box steigen zu wollen.

Hillary ist kürzlich mit schlappen 67% in New York wiedergewählt worden, Quoten, von denen die CSU (Frohe Weihnachten an meinen Leser Eddie Stoiber nach München!) nur noch träumen kann und in deren Nähe bestenfalls FJS, die Älteren unter Ihnen wissen noch wofür diese Initialien standen, gekommen war.

Und Barack Obama stammt aus Illinois. Der dritte Favorit (the third man) der Post-Schreiberlinge, nein, das ist zu negativ für meine Post - der dritte Favorit der Post-Journalisten ist der ehemalige Senator John Edwards aus North Carolina. Einer von den Dreien machts. In Deutschland wäre eine Mehrheit für Hillary, aber viele Amerikaner wollen verhindern, dass Bill Clinton wieder ins Weiße Haus zieht und wer weiß, was Hillary für Praktikanten anstellen würde, gut durchtrainierte Marines mit Waschbrettbauch und Knackpo, um dem Gemahlen einen Denkzettel zu verpassen.

Wir erinnern uns: Der frühere Präsident hat verschiedene Praktiken, die man vorher als sexuelle eingestuft hatte, entsexualisiert: "I had not sex with that woman, Miss Lewinsky." Die hat gerade in diesem Monat an der renommierten London School of Economics ihren Magister gemacht. Thema ihrer Arbeit: In Search of the Impartial Juror: An exploration of the third person effect and pre-trial publicity.
Jetzt gibt es schon autobiographische Magisterarbeiten...

Hat dieser Eintrag der Welt irgendetwas gebracht? Vermutlich nichts, ein wenig, vielleicht sogar ein Leben verändert. Wie auch immer, ich habe das Blog gestartet und wollte mal schauen, wie das Design sich macht, wenn da Text drin ist. Also unterscheidet sich meine Intention nur unwesentlich von der Millionen anderer Blogger.