Ein Wochenende in Östersund
Hier war ich schon lange nicht mehr. In den 80er Jahren besuchte ich Östersund zum ersten Mal, damals im Sommer und in Erinnerung hatte ich, dass die Stadt trotz ihrer geringen Grösse sehr lebendig wirkte. Das lag an der Perspektive; wir kamen aus dem kleinen Bergdorf Åre, das seitdem die Zahl seiner Gästebetten und den Grad seiner Bekanntheit deutlich gesteigert hatte. Im Sommer war Åre ein kleines Bergdorf im Schatten des Åreskutan, Ort auf der Durchreise von Sundsvall und Östersund in die norwegische Domstadt Trondheim. Norwegische Busse hielten mehrmals täglich vor den kleinen Supermärkten Konsum und ICA des Örtchens und spuckten Horden von kaufwilligen Norwegerinnen aus, die ihre Einkaufswagen in Windeseile bis zum Rand füllten. Norwegen war damals schon sündhaft teuer. Wir achteten nach einer Weile auf die Verfallsdaten der Lebensmittel eines Geschäfts, nachdem wir schlechte Erfahrungen gemacht hatten.
Seit diesem ersten Besuch sind 23 Jahre vergangen, eine Zahl, die verdeutlicht, dass der Blogger älter wird. 1984 ist verdamp lang her. Es war das Jahr der Fussballeuropameisterschaft in Frankreich. Allan Simonsen, der dänische Rechtsaussen, der bei Borussia Mönchengladbach Fussballer des Jahres in Europa geworden war, hatte sich im Spiel gegen Frankreich das Bein gebrochen und die Fortsetzung seiner Karriere beim neuen Club C.F. Barcelona musste mit einem grossen Fragezeichen versehen werden. Simonsen gehört für mich auch heute noch zu den besten Fussballern, die Europa hervorgebracht hat. Der kleine Mann mit der Nummer 7, den Hennes Weisweiler nach einem Probetraining eigentlich wieder zurück ins dänische Vejle schicken wollte, der dann aber Tore am Fliessband für den niederrheinischen Verein produzierte.
1984 gab es noch die Sowjetunion und die DDR, ein gewisser Michail Gorbatschow war nur den besseren Kennern des sowjetischen Systems bekannt, Soldaten der Roten Armee standen in Afghanistan und wurden von durch Amerika gesponsorte Mudschaheddin bekämpft. Einer der besten Freunde der USA in dieser Region hiess Osama bin Laden, den die CIA ausbildete und förderte.
Und Östersund stand vor einer seiner zahlreichen Bewerbungen um die Olympischen Winterspiele, nicht wissend, dass man jedes Mal scheitern sollte. Die Spiele wurden 1994 ins norwegische Lillehammer vergeben, einen weiteren Ort, der sich mit einer Jahreszahl verbindet, die meinen ersten Besuch in Skandinavien anzeigt: 1980. Lillehammer am Mjösa-See, wie ich später erfuhr auf der falschen Seite des Mjösa-Sees, auf der richtigen, der Sonnenseite liegt der Ort Gjövik aus dem Ingunn stammte, die mir in Fagernes nicht nur das erzählte.
Am Wochenende fanden in Östersund die Weltmeisterschaften der Enduro-Fahrer statt, auf dem Frühstücksbuffet im SAS Hotel Radisson hatte man zur Feier dieses grossen Ereignisses in der jämtländischen Hauptstadt ein Motorrad platziert, dass sich direkt oberhalb der Eier befand, hart und weichgekocht. Wie so oft in Hotels, wo man gleich mehrere hundert Eier kocht, nicht sonderlich gut abgeschreckt, so dass man die Schale in kleinen Stücken vom essbaren Teil trennen muss. Sie kennen das.
In Östersund schneite es fast das ganze Wochenende und als ich gestern noch über die Prästgatan schlenderte, hätte ich dies auch auf Langlaufskiern tun können. Überall schon sieht man Hinweise auf die Weltmeisterschaften im Biathlon, die vom 08.-17.02.2008 stattfinden werden. Die Hotels sind weitgehend ausgebucht und man rechnet mit einem enormen Andrang von Fans aus Deutschland und dem benachbarten Norwegen. Die deutschen Frauen und der ungekrönte König Ole Einar Björndalen sind Publikumsmagneten geworden. Wo Deutschland noch vor ein paar Jahren im Bann von Sven Hannawald und Martin Schmitt stand, sind es nun die Kleinkaliber-Sprinterinnen wie Andrea Henkel, Magdalena Neuner und Kati Wilhelm, die den Deutschen an so manchem langweiligen Samstag- oder Sonntagvormittag Zerstreuung geboten haben.
Aber nicht nur Enduro fand in Östersund statt. Ich war auf der Tagung des Fremdsprachenlehrerverbands LMS, die jedes Mal woanders ist. Gävle, Luleå, Skövde, Örebro, Göteborg, nun Östersund und im nächsten Jahr dann Visby. Ein zwischen 300 und 1.000 Personen umfassender Teilnehmerkreis, der sich in seinem Kern jährlich trifft. Hej hier und da, lang nicht gesehen, wie schön, was machen die Kinder, ein Todes- oder Krankheitsfall in der Familie führt zu kurzfristiger Betroffenheit, jemand ist schwanger, man freut sich, eben ein Mikrokosmos des Lebens.
Der Flug zurück ist verspätet und es ist 23 Uhr, als ich zu Hause bin. Zeit nur für einen kurzen Erschöpfungsschlaf, die Wochen sind hektisch im März und nun bin ich schon wieder auf dem Weg nach Göteborg.
In Östersund sitze ich am Freitagabend in einer Kneipe, ein Mann an der Theme hält sich die Hand vor den Mund, stürzt aus dem kleinen Lokal und kotzt gegen die Fensterscheibe. Ist der Alkoholkonsum in Norrland wirklich grösser als im Süden wie manche Schweden behaupten? Oder zeigt sich hier nur die grosstädtische Arroganz und Überlegenheit gegenüber der minderwertigen Provinz?
„I was born in a small town, educated in a small town, all my friends are so small town, that's good enough for me,“ singt eines meiner musikalischen Idole, John (Cougar) Mellencamp aus Bloomington, Indiana, der trotz seines massiven Erfolgs auch in den amerikanischen Metropolen seiner Kleinstadt und den Menschen immer treu geblieben ist.
Östersund 2007 revisited. Es kommt mir kleiner vor bei diesem Besuch, auch weil der Ausgangsort meines Besuchs nicht Åre sondern Stockholm ist. Aber es ist ganz ok, auch wenn ich den Nightclub Seven gegenüber dem Hotel nicht ausprobiert habe, ich war einfach zu müde.
19. März 2007
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