10. August 2007

Schweden baut den Sozialstaat weiter ab

Das "schwedische Modell" ist ein Ausdruck, der in Deutschland immer noch kursiert. Es ist etwas höchst Respektables, meint man damit in Deutschland doch eine Gesellschaft, die sich in vorbildlicher Weise um die Kranken und Schwachen kümmert. Meint man ein Gesundheitswesen, das seinesgleichen sucht.

Eigentlich meint "den svenska modellen" im schwedischen Sinn lediglich das Faktum, das sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die gesetzlichen Mindesstandards hinaus darauf verständigen, was am besten für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter ist. Es ist ein Modell des Kompromisses in der "Kompromissgesellschaft", wie Schweden dereinst von ausländischen Politologen genannt wurde.

Das, was die Deutschen unter dem "schwedischen Modell" verstehen, ist jedoch in den vergangenen 20 Jahren in vieler Hinsicht demontiert worden. Der schwedische Arzt und Humorist Richard Fuchs schrieb dereinst einen vorzüglichen Guide unter dem Titel "Visst är det härligt att vara svenskt" (Sicher ist es toll, Schwede zu sein). Darin schlug er unter anderem ein sich über mehrere Wochen erstreckendes Gesellschaftsspiel vor, dessen Ziel es ist, innerhalb kürzester Zeit denselben Arzt zweimal telefonisch zu erreichen. Fuchs schätzte die Mindestdauer dieses vergnüglichen Zeitvertreibs auf ca. zwei Wochen. Das Buch ist nicht mehr im Handel, aber in Bibliotheken zu finden.

Nun hat die Försäkringskassan
, die schwedische Krankenkasse im Zusammenspiel mit der Sozialbehörde (socialstyrelsen) beschlossen, den Ärzten des Landes die Anweisung zu geben, bei bestimmten Krankheiten ab Oktober nicht mehr oder in geringerem Umfang Patienten krank zu schreiben.

Wer an einem "burn out"-Syndrom leidet, wurde bisher im Schnitt 119 Tage krank geschrieben. Ab Oktober reduziert sich diese Zahl auf 0 Tage.

Herzinfarktpatienten waren bislang durchschnittlich 118 Tage krank geschrieben. Ab Oktober bekommen sie vier Wochen Vollzeit-, vier Wochen Teilzeitkrankschreibung. Und dann malochen, wenn es keine Komplikationen gibt.

Blinddarmentzündung: Bisher 27 Tage. Ab Oktober 0 Tage, 2-4 Wochen, wenn der Patient physisch anstrengende Arbeit erledigt.

Lungenentzündung: 35 Tage. Künftig vier Wochen, es sei denn der Patient hat zusätzlich Asthma oder Kol.

Insgesamt 90 Krankheiten wurden neu eingestuft. Der verantwortliche Projektleiter der Sozialbehörde, Jan Larsson: "Wir können nicht sagen, dass wir für einige unserer Entscheidungen eine wissenschaftliche Grundlage haben, weil die Frage nach der Arbeitskapazität relativ neu für die medizinische Forschung ist."

Alexander Perski, Dozent am Institut für Psychosoziale Medizin am renommierten Karolinska Krankenhaus: "Das klingt wie ein weiterer Versuch, Geld zu sparen. Das richtet sich vor allem gegen Frauen und Schwache in der Gesellschaft."

Und: "Die wichtigste Frage, ist, dass die Patienten Hilfe bekommen, nicht wie lange sie krank geschrieben werden. Den Kampf, die Krankschreibungen zu minimieren, führt man besser damit, dass man kranke Menschen behandelt."

Keine wissenschaftliche Grundlage, die Folgen unabsehbar, aber der Staat spart Geld und kann damit seine Steuererleichterungen und Geschenke an die besser Gestellten auf Kosten von Kranken finanzieren.

So viel zum "schwedischen Modell" im Jahr 2007. Herr Reinfeldt, schämen Sie sich!

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