9. Januar 2007

Mein Kiruna

Mein erster Besuch in Kiruna liegt schon lange zurück. Vor 21 Jahren bestieg ich in Kopenhagen den Lapplandspilen (Lapplandpfeil), einen Zug der damals noch rein staatlichen schwedischen Eisenbahn SJ, der die fast 2.000 Kilometer bis in die Stadt über dem Polarkreis in 26 Stunden zurücklegte.

Den Zug gibt es nicht mehr, die Strecke gehörte damals für Interrailer im Norden zu den aufregendsten und ereignislosesten zugleich. Es war ein Marathon. Fast 50mal, aber auf Schienen. Die Abstände zwischen den Bahnhöfen, kleine Holzhäuser, umgeben von einer Handvoll Behausungen wurden immer größer, je weiter man gen Norden zuckelte. Vännäs, Bastuträsk, Boden zogen vorbei. Es wurde wieder Abend und gegen sechs fuhr der Zug in einer langen Kurve auf die Stadt zu, die wir aus dem Schulfernsehen als Grubenstadt kannten, als flächenmäßig größte Stadt der Welt mit ihren 20.000 Quadratkilometern. Dann hat die Stadt diesen Spitzenplatz irgendwann verloren und heute findet man bei Recherchen die australische Stadt Mount Isa mit über 40.000 Quadratkilometern als größte Stadt auf dem Globus.

Schnee gab es hier sicher reichlich, dachten wir, hörten ab und an die Nachrichten von Radio Schweden mit den Temperaturen vom Tage am Ende und nicht selten vernahm man Ziffern wie Kiruna - 32 Grad... Brrr, das wollten wir auch einmal erleben, aber der erste Besuch in Kiruna fand im Sommer statt. Aber erst einmal fuhren wir durch. Nach Abisko zur berühmten Touristenstation, malerisch gelegen am See Torneträsk von Bergen in alle Himmelsrichtungen umgeben.

Einmal saß ich im August, dem kältesten des 20. Jahrhunderts in Schweden, in einem Kaufhaus in Kiruna, als es draußen auf einmal zu schneien begann. Zwei junge Frauen flippten aus, "Mein Gott, jetzt schneit es mitten im August", kreischte die eine, "ich hasse diese Stadt, ich will hier weg."

Zweimal fuhr ich mit Touristenbussen tief in die Grube hinein und schaute mir an, wie man hier Generation für Generation Erz gewonnen hatte.

Die Grube.

Der Grund für die Existenz von Kiruna.

Luossavaara Kirunavaara Aktiebolag. Abgekürzt LKAB. Vier Buchstaben, die Synonym sind für die Entwicklung im höchsten Norden Schwedens. Eisenerz. Gewonnen und verarbeitet in kleine Kugeln, Pellets genannt. Das braune Gold Lapplands. Man bohrte sich immer tiefer in die beiden Berge hinein und arbeitete gleichzeitig über Tage. Einer der beiden Stadtberge sieht aus, als habe man in der Mitte ein gigantisches Stück herausgeschnitten.

Kiruna. Eine Lyrikerin aus der Stadt schrieb in den achtziger Jahren ein sehr trauriges Gedicht über ihre Heimatstadt, über die Stadt, die am nördlichen Ende des Landes daliege wie in einem offenen Grab.

Ich habe diese Metapher bis heute nicht vergessen, denn Kiruna sah und sieht tatsächlich aus wie eine verwundete Stadt mit ihrem kaputten Berg. Es lag immer etwas Morbides über der Stadt, in der nun schon mehrere Generationen aufgewachsen sind.

Nun hat man beschlossen, die Stadt aus Sicherheitsgründen umziehen zu lassen. Wie kommt das?

Messungen haben vor ein paar Jahren ergeben, dass die Arbeit in den Gruben so große Risse im Zentrum der Stadt hervorgerufen hat, dass ein großer Teil der Innenstadt buchstäblich umziehen müsste. Mehrfamilienhäuser, Geschäfte, Wasserleitungen, ein Gymnasium, eine Kirche, ein Krankenhaus und das schwedenweit berühmte Stadthaus (einst zu Schwedens schönstem öffentlichen Gebäude gewählt) liegen innerhalb der Gefahrenzone.

Jetzt hat man einen politischen Beschluss über den Umzug gefasst und damit ein Projekt auch formell in Gang gesetzt, das in der Geschichte Schwedens einzigartig ist. In den Medien ist relativ wenig darüber zu finden. Stimmt es, dass Kiruna zu weit vom Schuss ist, dass sich "die im Süden" kaum für die Bewohner der dünn besiedelten Regionen interessieren? Die Volksbewegung dieser strukturschwachen, großen Landstriche "Hela Sverige ska leva" (Ganz Schweden soll leben) existiert immer noch leise, aber immerhin mit 4.000 Lokalvereinen.

Wer von euch Schwedisch kann, findet sehr viele Infos auf der Seite Kirunas framtid (Kirunas Zukunft), die von der Gemeinde Kiruna aufgebaut wurde.

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