30. Januar 2007

Ulf Nilsson: Wir haben nichts aus Anna Lindhs Tod gelernt

Ulf Nilsson ist einer der bekanntesten Kommentatoren der schwedischen Boulevardzeitung Expressen. In einem Artikel über den Tod des 8-Jährigen Tobias schreibt er heute:

"Der soeben entlassene Psychiatriepatient besorgte sich ein Messer. Seine Mutter wurde unruhig. Sie erstattete dem Krankenhaus Bericht. Merkwürdiges Benehmen. Und jetzt ein Messer, eine Waffe, mit der man töten kann. Keine Gefahr, sagte man im Krankenhaus. Er ist ungefährlich. Völlig. Dass die Diagnose falsch war, wissen wir. Es gibt klare Beweise für die Inkompetenz der Ärzte. Eine Leiche. Ein toter kleiner Junge."

Das Problem besteht darin, dass ein zusammengespartes Gesundheitssystem keine Antworten und keine Hilfe mehr auf drängende Fragen und Probleme hat. Auch Anna Lindhs Mörder Mihajlo Mihajlovic hatte immer wieder Hilfe bei der Psychiatrie gesucht, schreibt Nilsson. Vergebens.

"Überall in Schweden irren psychisch Gestörte hilflos herum. Es geht ihnen oft furchtbar schlecht, am Telefon werden sie allzu oft von Behandelnden vertröstet oder abgewiesen. 'Nimm deine Tabletten und verhalte dich ruhig.' Wir müssen in Schweden aufhören, die Augen zuzumachen und auf das Beste zu hoffen. Wir müssen einsehen, dass viele um uns herum sowohl krank wie auch potentiell lebensgefährlich sind, für sich selbst und andere. In Schweden, mit den höchsten Steuern der Welt, haben wir das Recht, mehr als das zu verlangen."

Selbst habe ich gottlob keine Erfahrungen mit der Psychiatrie. Aber mit den Notaufnahmen der Stockholmer Krankenhäuser. Als ich eine akute Blinddarmentzündung hatte, dauerte es acht Stunden vom Eintreffen bis zur Operation. Von den letzten Stunden bekam ich dank hohen Fiebers nichts mit und kann mich bis heute nicht erinnern. Als wir mit unserer kleinen Tochter mit ständigem Erbrechen und Durchfall ins Kinderkrankenhaus Sachsska kamen, dachte ich als Nichtmediziner, dass meine Tochter wohl an den Tropf müsse, um den enormen Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Zuerst warten. Dann kam eine Krankenschwester. Die Ärztin hat noch zu tun. Ob das Kind eine Urinprobe abgeben könne. Als ich meine Tochter zur Toilette tragen wollte, übergab sie sich über meinen Rücken. Keine Urinprobe. Krankenschwester: Bald kommt die Ärztin. Nach knapp acht Stunden entschied eine überarbeitete Ärztin, das Kind solle eine Nacht im Krankenhaus bleiben, da es zu viel Flüssigkeit verloren habe.

"Dann geh doch rüber", sagte man früher in der Deutschland-West, wenn man Zustände kritisierte. Nein, das will ich nicht. Wie Ulf Nilsson bin ich der Meinung, dass wir sehr viel Steuern zahlen und dafür mehr erwarten dürfen.

Im Fall der psychisch kranken Patienten, die auch eine Gefahr für andere bedeuten können heißt das: Hilfe für die Kranken und gleichzeitig Schutz für die Allgemeinheit. Die Liste der Opfer ist lang genug. In vielen Fällen hatten die Täter oder ihre Angehörigen vorher selber Hilfe gesucht und waren abgewiesen worden.

Keine Kommentare: