Wohnen in Stockholm und Schweden ist ein Thema für sich. Viele Astrid-Lindgren-Leser aus deutschsprachigen Landen glauben, dass alle Schweden in roten Häusern wohnen und manchmal wird man im Ausland gefragt, ob Elche und Eisbären durch die Straßen der Hauptstadt laufen würden. Hier kommt nun die Antwort: Nein. Nein. Weder noch.
Auch die neun Millionen Einwohner des größten der nordischen Länder wohnen in der Mehrheit in Wohnungen in mehrstöckigen Häusernn. Das System des Wohnens allerdings ist völlig anders, als man es in Radolfzell, Eisenhüttenstadt oder Reit im Winkl gewohnt ist.
Es gibt Mietwohnungen, Wohnungen mit sogenanntem Dauerwohnrecht (bostadsrätt), Häuser mit Dauerwohnrecht und daneben Eigenheime. Thomas Marquart hat das in seinem Schweden-Blogg "Fiket" ganz richtig beschrieben und deshalb begnüge ich mich hier mit einem Link auf seinen Post: http://www.fiket.de/2006/05/28/wort-der-woche-bostadsraett/.
in fast allen Gemeinden gibt es kommunale Wohnungsgesellschaften, die die vergleichsweise wenigen Mietwohnungen verwalten und vermitteln. Um eine Mietwohnung zu bekommen, schaut man nicht wie in Deutschland am Wochenende in die lokale oder regionale Tageszeitung, man trägt sich in die kommunale Wohnungsschlange ein. In Stockholm ist die Seite unter www.bostad.stockholm.se zu finden. Jährlich zahlt man hier 275 Kronen (etwa 30 Euro) ein und kann so Wohnungen "buchen". Je länger man Mitglied der Wohnungsschlange ist, desto aussichtsreicher die Chancen, tatsächlich eine begehrte Mietwohnung zu ergattern. Die Schlangen allerdings sind enorm. Für Wohnungen in der Stockholmer Innenstadt ("inom tullarna") sollte man wenigstens 10-12 Jahre Wartezeit auf dem Buckel haben, um eine winzige Chance zu haben. Auch in den Außenbezirken und Vorortgemeinden geht es bei den Schlangen wenigstens um einige Jahre Wartezeit.
Da viele nicht so lange warten können, aber kein Geld haben, um sich ein Dauerwohnrecht kaufen zu können, blüht der Mietmarkt in sogenannter 2. Hand. Jemand hat ein Dauerwohnrecht oder eine Mietwohnung und vermietet sie weiter. Jemand hat einen Mietvertrag erster Hand und verkauft ihn "schwarz" für ca. 5.000 € pro Zimmer weiter an einen Interessenten. Dieser letzte Deal ist illegal und im Falle der Aufdeckung verliert der Neueingezogene seine Wohnung und das schwarz gezahlte Geld ist wahrscheinlich auch futsch.
In Stockholm wechselt die politische Macht im Rathaus gewöhnlich alle vier Jahre. Die Wähler sind unzufrieden, man könnte auch behaupten, die Probleme der Stadt seien so vielfältig, dass die Stadt unregierbar ist und man es dem Wahlvolk nicht recht machen kann, da immer unpopuläre Entscheidungen zu treffen sind.
Sozialdemokratin Annika Billström, die von 2002-2006 an der Macht war, verdarb sich die Sympathien ihrer Wähler dadurch, dass sie einmal trotz gegenteiliger Ankündigung im Wahlkampf Mautgebühren für die Ein- und Ausfahrt in die Stadt einführte, um ihren kleinen grünen Koalitionspartner ins politische Bett zu bekommen und zum anderen zeichnete sie sich innerparteilich durch einen selbstherrlichen Führungsstil aus. Auch nach der Wahlniederlage im September 06 wollte Billström weitermachen, aber die Partei wollte sie nicht mehr und setzt jetzt Karin Jämtin an die Spitze der Opposition.
Von 1998-2002 regierten die bürgerlichen Parteien in der Stadt. Während dieser Jahre wurden tausende von Mietwohnungen in der Innenstadt in "Dauerwohnrecht"-Vereine umgewandelt.
Die Folge: Immer weniger Menschen mit niedrigeren Einkommen können es sich leisten, in der Innenstadt zu wohnen. Denn wenn aus einer Mietwohnung eine Wohnung mit Dauerwohnrecht wird, muss man dafür einige Hunderttausend Kronen auf den Tisch blättern. In der Regel ist das ein Preis, den man gemessen am Marktwert als günstig bezeichnen kann, aber viele können sich es dennoch nicht leisten und sind einfach nicht kreditwürdig genug bei den Banken.
Die Umwandlung von immer mehr Wohnungen vertreibt somit sozial Schwächere aus der Innenstadt in die Trostlosigkeit der sozialen Brennpunkte der Vororte. Nun ist seit Herbst 2006 wieder eine Koalition bürgerlicher Parteien an der Macht und der Ausverkauf der Mietwohnungen wird wohl wieder aufgenommen.
Dabei ist zu erwähnen, dass sozialdemokratische Politiker und Politik zwar gegen die Umwandlungen sind, sich aber als Privatpersonen durchaus gern an den Geschäften beteiligt und bereichert haben. Jüngstes Beispiel dafür ist, dass die ehemalige Außenministerin Laila Freivaldts ihre Wohnung im Stadtteil Kungsholmen, aus dem ich gerade diesen Post schreibe, verkauft hat und einen Gewinn von schlappen 370.000 € einfährt.
Noch gibt es in Stockholm 18.957 Wohnungen, die der Gemeinde gehören. Die konservative Svenska Dagbladet schreibt heute über "Das große Spiel um die Mietwohnungen". Wenn wie zwischen 1998-2002 erneut ca. 12.000 Wohnungen umgebildet würden, bliebe kaum noch etwas übrig am Ende der Legislaturperiode. Kristina Alvendal (M = Moderata Samlingspartiet) ist zuständig für Wohnungspolitik in Stockholm. Sie behauptet, dass in den nächsten Jahren vor allem in den Vororten Stockholms, z.B. Hässelby, Vällingby, Skärholmen, Tensta und Rinkeby, letztere drei mit sehr hohem Anteil ursprünglich ausländischer Bevölkerung, Wohnungen umgewandelt würden und so vieles zur Integration von Einwanderern getan werden könnte.
Nun ist es so, dass niemand direkt gezwungen werden kann, seine Mietwohnung zu verlassen, wenn er sich nicht leisten kann, die Wohnung als Dauerwohnrecht zu erwerben, aber es gibt andererseits einen großen Druck der Nachbarn, die nicht unbedingt in ihrem neu gegründeten Verein Mieter haben wollen.
Das Spiel um die Wohnungen in der Stockholmer Innenstadt und nicht nur da wird ein Thema in den kommenden Jahren sein und es wird hier weiter beobachtet werden.
5. Januar 2007
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen